Die Mobile Praxis arbeitet seit Jahren mit dem lösungsorientiertem Ansatz von Ben Furman, hat schon mehrere Meisterklassen begleitet und lässt nun weitere Mitarbeitende aus den Bereichen Tagesgruppe, SPFH, Sozialcoaching und Schulsozialarbeite ausbilden, damit das Konzept weitergetragen werden kann. In diesem Jahr werden die Fortbildungen bereichsübergreifend und in Kooperation mit weiteren Trägern und Schulen organisiert, was sehr gut aufgenommen wird.
Yves Steininger ist klinischer Psychologe und Sportpsychologe, sowie Leiter der Akademie für Kinder- und Jugendlichencoaching in Darmstadt und Hamburg. Er bietet Einzelcoaching für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene an. Zu ihm kommen viele Jugendliche, die Probleme in der Schule haben oder Probleme mit Drogen und Spielsucht. Steininger, der selbst Erfahrung im Leistungssport hat, coacht auch Sportler*innen, die Angst vor Wettkämpfen haben im Einzel- oder Gruppensetting. Mit Teams und Mannschaften erarbeitet er hilfreiche Strategien für eine optimale Wettkampfvorbereitung. Ziel ist dabei immer mentale Stärke aufzubauen.
Sein Ansatz ist angelehnt an die Idee von Ben Furman und seinem Ich schaff`s! Programm. Die Grundidee von „Ich schaffs!“ ist- kurz gesagt: Es gibt keine Probleme, sondern Fähigkeiten, die noch gelernt oder verbessert werden müssen. Vor einem Jahr hatten wir eine Fortbildung und einen Abendvortrag mit Ben Furman und seinem „Ich schaffs“ Programm bei uns in Eberstadt.
Diesem Ansatz, dass Fähigkeiten entwickelt werden können, folgt auch Yves Steininger. Dabei geht es nicht so sehr darum, in der Vergangenheit verhaftet zu bleiben und Ursachen für die Probleme zu suchen, sondern darum eine Strategie zu finden, wie man die Probleme mit der Weiter(entwicklung) welcher Fähigkeiten lösen kann. Und wie dabei der erste, kleine, nächste machbare Schritt aussehen kann.
Neben dem Einzelcoaching gibt Steininger auch Fortbildungen für Pädagogen, Sozialarbeiter*innen und Lehrkräfte zu seiner „Anfängergeist-Meisterklasse-MethodeTM“. In der Mobilen Praxis haben schon mehrere dieser Fortbildungen stattgefunden. Diese Woche gibt es eine neue Runde.
Yves, was ist eine Anfängergeist-MeisterklasseTM?
Die Grundidee ist angelehnt an den Ansatz der Meisterklasse von Ben Furman: Eine ganze Schulklasse entscheidet sich für bestimmte Fähigkeiten, übt diese, und wenn sie erfolgreich gelernt wurden und sie über einen längeren Zeitraum stabil bleiben, bekommt die Klasse in einer Zeremonie von der Schulleitung eine Urkunde und den Titel Meisterklasse verliehen. Ich habe den Prozess bis zur Verleihung des Meisterklassezertifikates aber ganz neu und zu einer eigenständigen Methode weiterentwickelt. Die Anfängergeist-MeisterklasseTM-Methode legt den Fokus auf die Ermutigung und Motivation der Kinder und Jugendlichen Verantwortung für die Weiterentwicklung hilfreicher Fähigkeiten jeden Tag zu übernehmen. Es geht ums Dranbleiben und sich gegenseitig jeden Tag neu dabei zu unterstützen.
Welche Fähigkeiten lernen die Kinder?
Die Schulklasse entscheidet selbst, welche Fähigkeit sie lernen möchten. Sehr oft wird die Fähigkeit „Wir schaffen es, uns zu beruhigen“ gewählt. Also die Kinder möchten lernen, wie sie selbst die Klassenlautstärke und Atmosphäre hilfreich und im Sinne ihrer Ziele klug beeinflussen und gestalten können. Viele Kinder und Jugendliche möchten auch lernen und verstehen wie sie innerlich ruhiger werden können, und unabhängiger von dem, was um sie herum geschieht.
Wieso ist das für ein Klasse sinnvoll? Was bewirkt das?
Die Kinder sehen, es lohnt sich diese Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Es hilft ihnen. Die Schüler*innen lernen, dass wenn ich ruhig werde, kann ich mehr der Inhalte einer Klassenstunde verstehen. Es fällt mir leichter. Wenn ich innerlich ruhig bin, gibt es weniger Streit. Die Klassenatmosphäre verbessert sich. Jede und jeder einzelne trägt etwas bei. Jede*r ist wichtig in der Klasse und wird gebraucht.
Wie sieht das konkret aus?
Ich gehe z.B. ein Schulhalbjahr lang einmal im Monat für 90 min, also eine Doppelstunde in die Schulklasse. Das Setting ist allerdings sehr flexibel. Es kann auch öfter und dafür in einem kürzeren Zeitraum stattfinden. Manchmal gehe ich auch nicht in eine Schulklasse, sondern in eine Betreuungsgruppe oder üben mit einem 2er Team. Ich mache das Coaching oft in der 6. oder 7. Klasse.
Die Klassenlehrkraft oder Betreuungskraft ist auch dabei. Sie ist vorher gebrieft und bekommt die Inhalt mit, so dass sie die Inhalte bis zum nächsten Coaching fortführen kann, wenn sie möchte und in ihren Unterrichtsalltag mit aufnimmt. Sie erinnert die Kinder daran, die Fähigkeit zu üben und dran zu bleiben.
Wir machen konkrete Übungen wie z.B. die Samurai-Übung, in dem es um das Entwickeln innerer Stärke durch Atemtechniken geht. Das fördert die innere Ruhe und die Konzentration. Wir arbeiten auch viel mit kleinen Videoclips und starken Bilder und Metaphern wie z.B. der ruhige Wolf und der aggressive Wolf, sowie mit Erklärungen, wie unser Gehirn funktioniert und wir lernen können hilfreich mit ihm zusammen zu arbeiten.
Dadurch bekommen auch die Klassenlehrkräfte Übungen an die Hand und können diese nach Bedarf einsetzen.
Wie lange üben die Kinder?
Meist üben die Kinder die Fähigkeit über ein Schulhalbjahr. Bevor sie zur Meisterklasse ernannt werden, müssen sie zeigen, dass sie die neue Fähigkeit über einen längeren Zeitraum beibehalten.
Das wird über eine Belohnungssystem gemonitort. Ich nehme gerne ein Glas, das mit Steinen gefüllt wird. Nach jeder Schulstunde überprüft die Lehrkraft, ob die Klasse gut geübt hat, ihre Fähigkeit zu entwickeln. Wenn das gut geklappt hat, gibt es einen Stein in das Glas. Außerdem erhält die Klasse über einen „Live-Scoring“ an der Tafel während den Schulstunden direktes Feedback.
Üben die Kinder nur ein Fähigkeit?
Die Klasse übt zunächst eine Fähigkeit, auf die sie sich geeinigt haben. Wenn dies schon gut klappt, kann die Klasse eine weitere hilfreiche Fähigkeit auswählen. Außerdem wählt jedes Kind noch eine eigene, individuelle Fähigkeit, die ihm oder ihr helfen würde. Die Lehrkraft weiß darüber Bescheid und guckt, am Ende der Stunde oder am Ende der Schulwoche, ob das Kind die Fähigkeit gut geübt hat. Wenn das der Fall ist, kann das Kind einen zusätzlichen Stein in das Gemeinschaftsglas legen. Jedes Kind trägt so also dazu bei, dass die Klasse zur Meisterklasse wird. Und mit jeder geübten Fähigkeit wird die Klassenatmosphäre angenehmer.
Wann bekommt die Klasse ihr Zertifikat zur Meisterklasse?
Wenn die Kinder gezeigt haben, dass sie die neue Fähigkeit gelernt haben, wenn ihr Steinglas voller Steine ist, bekommt die Klasse von der Schulleitung in einer feierlichen Zeremonie den Titel Meisterklasse verliehen. Damit verpflichten sie sich auch, die Fähigkeit weiter zu üben und die Grundidee an die nachfolgenden Klassen weiterzugeben. Sie werden zu Mentor*innen des nächsten Jahrgangs.
Wer nimmt teil an der Fortbildung?
Mitarbeitende der Mobilen Praxis und Schulsozialarbeiter*innen anderer Träger. In der vorherigen Fortbildung haben Lehrkräfte einer Schule teilgenommen. Sie können das Konzept dann eigenständig in Klassen oder anderen Kontexten umsetzen.
Vielen Dank für die Einblicke, Yves Steininger.
Feedback der Teilnehmenden
Das Feedback der Teilnehmenden der Fortbildung ist durchweg positiv. Sie gehen regelrecht beflügelt aus den Terminen. Eine Mitarbeiterin aus der Tagesgruppe meint: „Ich finde es hilfreich, einen Rahmen zu schaffen, Aufträge aus den Hilfeplänen mit den Kindern zu besprechen und gemeinsam zu überlegen, was sie benötigen, um diese Ziele zu erreichen. Das tun wir natürlich schon, doch durch die konkreten Fähigkeiten und das Sichtbarmachen dieser und der Erfolge wird die Hilfe für sie nachvollziehbarer, verständlicher und mitgestaltbarer.“
„Wertvoll an den drei Fortbildungseinheiten zur Meisterklasse ist insbesondere die Teilnahme einrichtungsübergreifender Bereiche sowie die Teilnahme von Netzwerkpartnern zweier Schulen aus unserem Landkreis“, sagt eine weitere Teilnehmerin. „Ich hoffe, im weiteren Austausch entsteht ein gemeinsamer Blick auf Fähigkeiten, die Familien und Kinder benötigen“.
Fortsetzung Teil2: Ich schaffs! und Meisterklassen in der Arbeit der Mobilen Praxis (in Kürze)