SozialCoaching im Sozialraum Schule- eine neue Hilfe der Mobilen Praxis

Katja Wolfsturm und Charlotte Werner haben das neue Projekt „Sozialcoaching am Ort Schule“ der Mobilen Praxis ins Leben gerufen.

Charlotte Werner ist Sozialarbeiterin und arbeitet seit 4 Jahren bei der Mobilen Praxis in verschiedenen Bereichen und seit September 2022 im neuen Projekt „ Sozialcoaching am Ort Schule“ kurz „Soco am Ort Schule“.

Katja Wolfsturm ist seit 20 Jahren bei der Mobilen Praxis und ist seit 5 Jahren Bereichsleitung für Tagesgruppen und Sozialcoaching. Die Mobile Praxis hat 3 Tagesgruppen in Eberstadt, Roßdorf und Altheim und mehrere Sozialcoaching-Teams in der Stadt Darmstadt und im Landkreis.

Die Politik möchte Ganztagsschulen mit Unterrichtszeiten bis mindestens 14:30 Uhr. Manche Schulen haben schon umgestellt.  Gleichzeitig gibt es Kinder, die einen erhöhten erzieherischen Bedarf haben und bisher z.B. mittags nach der Schule in einer Tagesgruppe betreut wurden. Die Zeiten der Tagesgruppe kollidieren aber mit den Zeiten einer Ganztagsschule? Was nun? Wie kann es gelingen, dass diese Kinder trotzdem am Alltag der Schulgemeinschaft teilnehmen können?

Werner: Mit unserem neuen Projekt „Soco am Ort Schule“, das seit Anfang des Schuljahres läuft, bieten wir Kindern mit Mehrbedarf ,die Möglichkeit am Ort Schule die Unterstützung, die sie und ihre Familien brauchen, zu bekommen. Die Unterstützung erfolgt also genau da, wo die Bedarfslagen entstehen.

Wolfsturm: Soco im Sozialraum Schule unterstützt Kinder, die sonst normalen Schulalltag nicht schaffen und bisher nach der Schule in einer unserer Tagesgruppen waren, um dort gefördert zu werden. Unser Mitarbeiter*innen bieten Ankerpunkte im Schullalltag und sind feste Bezugspersonen. Sie können agieren, bevor es zur Eskalation kommt oder auf Grund der aufgebauten Beziehung und des Vertrauens helfen über Hürden zu gelangen, welche sonst zu Frustrationen geführt hätten.

Werner: Bei Bedarf können die von uns betreuten  Kinder am Vormittag in Kleingruppen aus der Klasse begleitet werden und mit ihnen in der Kleingruppe weitergearbeitet werden. Es ermöglicht den Kindern in der kleineren Gruppe eine Pause von den hohen emotionalen Anspruch in der großen Klasse. Wir gehen in die Klassen und sind als zusätzliche Unterstützung und Ansprechpartner*innen da.

Wolfsturm: So entlasten wir die Kinder bereits während der Schulzeit und unterstützen sie darin, dass Inklusion in der Schule und im sozialen Umfeld gelingen kann und sie den nun längeren Schulalltag vollständig am Ort Schule verbringen können.

In der Mobilen Praxis wird dieses Konzept an einer Schule bereits umgesetzt. Wie sind die Erfahrungen? Welcher Vorteil ergibt sich aus dem neuen Konzept? Welche Herausforderungen gibt es?

Werner: Viele Kinder, die wir unterstützen, brauchen z.B. Unterstützung bei der Gestaltung ihrer sozialen Kontakte. Ein großer Vorteil des neuen Konzepts ist es, dass die Kinder direkt im Sozialraum Schule unterstützt werden. So gibt es viel bessere Anknüpfungspunkte, da man auch die anderen Schülerinnen und Schüler kennt.  Wir arbeiten direkt im sozialen Umfeld.

Wolfsturm:  Die Sozialraumorientierung ist ein großer Vorteil, so können wir die Kinder gut darin unterstützen, Kontakte zu machen und z.B. Freunde oder geeignete Lernpartner*innen zu finden. Wir können mit den Kindern “Stresspunkte“ vor Ort üben wie z.B. der Kontakt zu anderen oder das Verbleiben in einer großen Gruppe. Gleichzeitig sind wir Unterstützer in der Kontaktaufnahme, auch über den Schultag hinaus. Mit den Kindern und Klassenkameraden werden z.B. gemeinsame Freizeitideen aktiviert  wie Vereinsanbindung oder der  Kontakt zur Jugendförderung.

Wie sieht das an der Schule, an der es bereits umgesetzt wird, konkret aus?

Werner: An der Schule, an der wir das Konzept gerade erproben, bieten wir den Kindern an bis zu 3 Tagen unsere Unterstützung an. Wie genau das gestaltet wird, hängt von dem Bedarf des jeweiligen Kindes ab und wird individuell mit dem Jugendamt/Sozialamt und den Eltern vereinbart.  Ob die Unterstützung einzeln oder im Gruppensetting erfolgt ist ebenso individuell. Ein Kind hat z.B. Probleme mit großen Gruppen, insbesondere beim Mittagessen in der großen Mensa. Da schaue ich, ob es an diesem Tag möglich für das Kind ist, in der Mensa zu essen z.B. indem genug Ausgleich am Vormittag stattgefunden hat oder ob wir zu zweit im Betreuungsraum essen.

Wolfsturm: Die Unterstützung über  das Sozialcoaching geht über die Unterrichtszeit hinaus bis ca. 16:30. Bei einem anderen Kind ist es z.B. wichtig, dass es Anknüpfungspunkte im Wohnsozialraum gibt. Dieses Kind unterstützen wir z.B. dabei, einen geeigneten  Sportverein zu finden.  

Werner: Die Zeit nach der Schule nutzen wir oft dafür Themen der Kinder nach zu besprechen oder Alltagsfertigkeiten zu üben, wie z.B. das Bus fahren. Darüber  hinaus werden in der Kleingruppe Themen bearbeitet z.B. das Training der Kontaktaufnahme, Stressregulation etc. . Aber auch individuelle Themen der Kinder werden hier aufgegriffen und orientiert an den Zielen der Hilfeplanung bearbeitet. Das kann beispielsweise auch das Arbeits- oder Ordnungsverhalten beinhalten.

Was sind generell die Ziele von Sozialcoaching? Welche Herausforderungen haben die Kinder, die gefördert werden?

Wolfsturm: Beim Sozialcoaching werden die Kinder beim sozialen Miteinander, bei der schulischen Teilhabe und bei individuellen Entwicklungen unterstützt. Hilfe beim sozialen Miteinander umfasst z.B. Kontakte zu Gleichaltrigen knüpfen, halten und gestalten lernen und  Konflikte konstruktiv zu lösen sowie geeignete Lösungsstrategien zu finden.

Bei der schulischen Teilhabe unterstützen wir die Kinder dabei den schulischen Inhalten folgen zu können, sich an Regeln und Abläufe zu halten und beim selbständigen Arbeiten.  Individuelle Entwicklungsmöglichkeiten gibt es z.B. beim Erlernen der Frustrationstoleranz, nun der Impulskontrolle, beim Moderieren von Nähe und Distanzverhalten und dem Einhalten von Grenzen, den eigenen und denen anderer.

Gleichzeitig werden die Kinder in den oft fehlenden exekutiven Funktionen (Arbeitsgedächtnis, Kognitive Flexibilität und Inhibition)  gefördert, welche zu einem guten Gelingen des Schulaltages benötigt werden. So werden über spielerische Angebote das Arbeitsgedächtnis trainiert oder die fein- und grobmotorischen Fähigkeiten aufgebaut. Auch das im kleinen Rahmen angebotene Lese- oder Rechentraining gibt den Kindern mehr Sicherheit für den Alltag im großen Schulsystem.

Wie werden die Eltern einbezogen?

Wolfsturm: Der Kontakt zu den Eltern ist sehr wichtig. So werden in jeder SOCO-Hilfe  mindestens 30 min pro Woche für Absprachen mit den Eltern eingerechnet. Wenn es Mehrbedarf gibt, dann kann das über eine zusätzliche Sozialpädagogische Familienhilfe aufgestockt werden.

Der Kontakt über das Sozialcoaching stellt  für die Eltern eine Brücke zur Schule dar und auch hier ist es Ziel, dass Schule als ein positiver Förderort  wahrgenommen wird.

Wie wird die Kooperation mit Lehrkräften gestaltet?

Werner: Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der Schulleitung der Schule. Ausgangspunkt für das neue Konzept war die Umstellung der Schule auf den Ganztag und damit verbunden der Frage, wie das für Kinder mit zusätzlichem Bedarf machbar ist. Das neue Konzept wurde im engen Austausch mit der Schulleitung entwickelt.  Auch der Austausch mit den Lehrkräften ist gut. Diese sind sehr froh über die zusätzliche Entlastung und Unterstützung.

Wolfsturm: Es haben schon gemeinsame Fortbildungen der Mitarbeiter*innen der Mobilen Praxis und Lehrkräften zum Thema Meisterklasse nach dem „Ich schaffs! Programm von Ben Furman stattgefunden. Und auch am Marte Meo Fachtag, der von Mobile Praxis organisiert wurde, haben Lehrkräfte der Schule teilgenommen.

Geplant sind Kooperationsgespräche gemeinsam mit den Lehrkräften und regelmäßige Teamsitzung in der Schule.

Das neue Konzept läuft schon seit Beginn des Schuljahrs 2022/2023. Wie geht es weiter?

Wolfsturm: Ziel ist es, dass an der Schule 3-4 Pädagog*innen zur Verfügung stehen, die 8-10 Kinder betreuen. Jede*r Kolleg*in hat  1-2 Klassen im Fokus. Während der Schulzeit gehen sie nach Bedarf mit in die Klassen und nachmittags nach der Schule die weiteren Themen der Kinder bearbeitet können. Im Sinnen der Sozialraumorientierung sollen die Angebote vor Ort gestärkt werden.

Werner: Es gibt noch viele Ideen. Unser Betreuungsraum wird noch schöner eingerichtet, damit dies ein Wohlfühlort ist, an dem man gut arbeiten kann.

Wie ist der Start von Soco am Ort Schule gelungen?

Werner: Das neue Konzept „Soco am Ort Schule“ ist sehr gut gestartet. Hilfreich ist, dass wir an einer relativen kleinen Schule gestartet haben und auch mit Kindern, die wir schon aus der Tagesgruppe kannten. Jetzt werden sukzessive neue Kinder mitaufgenommen.

Wolfsturm: Unser Ziel ist es, Schule zu einem guten Ort für alle Schülerinnen und Schüler zu machen, auch für die, denen es etwas schwerer fällt. Unsere Motivation ist, dass Schule  mit Hilfe der Soco am Ort Schule  ein geschützter Raum für alle Kinder wird.

Wollt ihr noch was ergänzen?

Wolfsturm: Das Konzept wird an der Schule, an der wir gestartet sind, weiterentwickelt. Mit dem neuen Konzept werden Ressourcen besser genutzt.  Es ist ein gutes Konzept und lässt sich gut auch auf andere kleinere Schulen übertragen.  Wir freuen uns auf die weiteren Entwicklungen und gemeinsame Ideen.